Fantasy


Maximilian S. pflegte sommers täglich nach der Arbeit im Büro mit dem Fahrrad zu seinem Badeplatz am Ufer der Neuen Donau zu fahren.
Obwohl es heute im Büro später geworden war, hatte er sich auf sein Rad geschwungen und fuhr jetzt frohgemut auf der Brigittenauer Brücke über den breiten Strom. Rechter Hand glänzten Wolkenkratzer im Licht der Abendsonne. Links von ihm erhoben sich die Wiener Hausberge hinter unscheinbaren Gebäuden der Außenbezirke. Der Himmel war weit, nur vereinzelt klebten weiße Wölkchen am sich verdunkelnden Blau.
Wie täglich blickte er noch von der Brücke aus zu seinem Badeplatz hin. Dieses Stück Wiese lag heute schon verlassen da. Ein paar Schwäne schwammen das Ufer entlang .
Maximilian lehnte das Fahrrad an die Eisenstange eines Hundeverbotschildes. Er sah sich um. Zwischen den Bäumen und den dicht stehenden Büschen verschwanden die Einzelheiten schon in Dunkelheit.
Rasch ging Maximilian Richtung Wasser. Er breitete das Handtuch auf dem trockenen Gras seines gewohnten Platzes aus. Die Badehose hatte er schon im Büro angezogen. Er schlüpfte aus Hose und Hemd und seinen Sandalen. Er spürte den Boden, hörte eine Ente aufgeregt schnattern und musste grinsen. Es hatte wie Donald Duck in alten Kinderfilmen geklungen.
Das Donauwasser, dachte Maximilian, tut mir wohl. Seine halbe Stunde Schwimmen ließ er sich von niemandem nehmen.
Er ging schnurstracks auf das Wasser zu. Er hob die gestreckten Arme über den Kopf, atmete tief ein und aus, ein und aus.
Es dämmerte. Fledermäuse flatterten in der warmen Luft . Die nackten Sohlen spürten das trockene Gras, die Sandinseln zwischen Halmen und Blättern, dazwischen ein wenig Schotter und feuchten Schlamm. Die Entenfamilie war ein Stück flussabwärts geschwommen. Auf der langengestreckten Insel gegenüber trommelten und sangen Leute. Das Wasser, so warm wie gestern, lag fast schwarz in seinem Bett.
Jetzt blieb Maximilian regungslos stehen. Bis knapp unter die Knie reichte ihm das Wasser. Er tauchte die Hände ein.
Er stieg vorsichtig über zwei große vom Wasser halbbedeckte Steinbrocken. Kleine Fischchen schwammen um seine Zehen. Angenehm spürte sich der Schlamm zwischen den Zehen an. Als er bis zur Leibesmitte im Wasser stand, ließ er sich mit einem Mal ganz ins erfrischende Nass gleiten. Ein kurzes, leichtes Frösteln auf dem Rücken ließ ihn schnell ein paar starke Tempi machen.
Schon war er ein kleines Stück vom Ufer weg, als er eine Bewegung neben seiner linken Hand wahrnahm. Dann – er glaubte, nicht richtig zu sehen,– tauchte ein mit Zähnen besetztes aufgeklapptes Maul auf.
Die Kiefer packten unerbittlich Maximilians linken Oberarm. Er vermeinte, eine raue, schuppige Haut an seinem Leib zu spüren.
Zähne packten seinen linken Oberschenkel. Unerbittlich, wie ein Schraubstock .
Die Mäuler waren sich nicht einig, wohin sie Maximilians Körper ziehen sollten. Sie zerrten in verschiedene Richtungen, Maximilian auch einmal einfach unter die Wasseroberfläche. Kurz wurde Maximilians Oberschenkel losgelassen. Das Tier, das ihn am Oberarm hielt, nutzte die Gelegenheit. Es ging mit Schwung an die Oberfläche. Maximilian sah seinen Arm, den Kopf des Krokodils, eines seiner Augen und einen starken Willen in dessen Blick. Es holte Schwung und warf Maximilians Körper hoch in die Luft und drehte ihm so den Arm aus dem Körper. Alles wurde rot. Das zweite Krokodil erwischte einen Fuß und zog den Menschenkörper wieder in tieferes Wasser. Ja, Maximilian spürte den Schmerz. Doch seit er gesehen hatte, wie schnell große Mengen seines Blutes sich mit dem Donauwasser mischten, der Arm im Schlund des Tieres, in dessen senkrecht stehenden Kopf, verschwunden war, hatte er nichts mehr mit diesen Vorgängen zu tun gehabt. Er starb rasch.
Maximilians Handtuch, seine Hose und ein kleiner Rucksack mit der Geldbörse blieben am Ufer zurück.
Die Krokodile, die seit kurzem zu viert in der Neuen Donau schwammen, hatten schnell verstanden, dass die hiesigen Fische, Vögel und auch andere Beutetiere auf ihre Anwesenheit überhaupt nicht vorbereitet waren. Die zwei, die sich Maximilian S. geteilt hatten, waren junge, unvorsichtige Männchen. Ihre älteren Artgenossen verließen die Gegenden, in denen sie vor Blicken sicher waren, höchst selten. An den Plätzen, wo sich Menschen aufhielten, schwammen sie nur nachts vorbei. Ihr Revier befand sich in der Nähe eines kleinen Hafens für Segelboote. Dort gab es in kleinen Buchten einen dichten Schilfgürtel und untertags nur wenige Schwimmende.
Einen Angler, der weitab von seinen Kollegen in hohen Stiefeln im Wasser gestanden war, den hatten sie sich geholt. Im Gegensatz zu Maximilian S. war dieser arme Mann nicht polizeilich gemeldet gewesen. Nur ein paar anderen Illegalen aus Ägypten war sein Verschwinden aufgefallen.
Auch ein anderes wildes Tier hatte Teile Wiens erobert. Im Prater, in der Lobau und den Auen entlang des Donaustroms jagten Wölfe. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hatten sie, sich vom Balkan und den Karparten aus langsam in den Wäldern und den Aulandschaften entlang der Pruth, der Drau und vor allem der Donau entlang ausbreitend, weite Teile Mitteleuropas zu bevölkern begonnen .
Die Hundebesitzer und Hundebesitzerinnen begannen um ihre Tiere zu fürchten. Überwachungskameras hatten Wölfe gefilmt, die angekettete Hund erlegten und fraßen. Wer einen Hund besaß, sagten die Vertreter der HundebesitzerInnen aller Bezirke Wiens, sollte ein Anrecht darauf haben, eine Waffe mit sich tragen zu dürfen. Herzlose Zyniker entgegneten, dass die Hunde Menschen schützen sollten und nicht umgekehrt.